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Vorfahrt für Vertrauen

haende_vertrauenKontrolle ist gut, aber Vertrauen besser – zumindest im Haus der Solidarität.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle besser“, sagt ein geflügeltes Wort. Das Haus der Solidarität (HdS) dreht den Spruch um und lebt nach der Devise: „Vertrauen geht vor.“ Damit schwimmt es gegen den Strom: Unternehmen kontrollieren ihre Angestellten mit Stempeluhren, Zeitmanagementsystemen, Checklisten; öffentliche Institutionen beharren auf Zertifikate, Zettel, Zeitpläne für ihre Klienten; die Kirche schließlich hält ihre Schäfchen mit Geboten und Verboten unter Kontrolle.

Kontrolle ist kontraproduktiv

Dabei ist wissenschaftlich längst bewiesen, dass Kontrolle kontraproduktiv, Vertrauen dagegen zu mehr Erfolg in den verschiedensten Lebenslagen beiträgt. Der Managementberater und Bestsellerautor Reinhart Sprenger meint dazu: „Vertrauen ist die Antriebskraft für schnelleres Handeln und Entscheiden. Innovation und Kreativität werden durch Vertrauen gefördert.“ Und weiter: „Kontrollverzicht ist das Instrument, mit dem Vertrauensbeziehungen beginnen.“

Halbseitige Hausordnung

In diesem Sinne gibt es im HdS lediglich eine halbseitige Hausordnung. Diese hat die Leitung erst nach der dringenden Empfehlung eines Staatsanwaltes formuliert. Oberstes Gebot sind Respekt und Toleranz. Außer Rauchverbotsschildern sucht man im 2.700-Quadratmeter großen Haus vergeblich nach Gebots- und Verbotsschildern. Auch Sperrstunde gibt es keine. Jeder kann kommen und gehen, wann er will. Einzige Voraussetzung: Die Nachtruhe der anderen zu respektieren.

Nicht in den eigenen Teller spucken

Damit nicht genug. Räume wie Küche und TV-Saal werden gemeinsam geführt und organisiert. Die eigenen Schlafstätten kontrolliert niemand. Ordnung und Sauberkeit des Hauses obliegen ebenfalls den Gästen. Klappt es mit dem Putzen einmal nicht, sind es die Gäste selbst, die die Zuständigen auf den Mangel hinweisen. Die Speisekammer ist rund um die Uhr offen. Jeder kann das nehmen, was er fürs Kochen braucht. Einkäufe führen die Gäste mit dem Geld des HdS durch. Oft vergessen sie die Quittung im Geschäft. Kein Problem. Denn das HdS glaubt seinen Gästen. Schließlich ist es IHR Haus und IHR Heim. Und wer spuckt schon willentlich in den eigenen Teller?

Nicht alles Gold

Natürlich ist auch im HdS nicht alles Gold, was glänzt. Sauberkeit und Mülltrennung sorgen permanent für Diskussionen. Respekt und Toleranz sind dehnbare Begriffe. Jeder versteht darunter etwas anderes. Vor allem Menschen aus anderen Kulturen. Daher gab es wiederholt zaghafte Versuche, Kontrollmechanismen einzuführen: Putzlisten, Checklisten, Anwesenheitspflichten. Doch schon bald nach Einführung stellte die Hausleitung fest, dass der Aufwand größer als das gewünschte Ergebnis war. Daher ließ sie die Regeln bald fallen.

Enormer Kaffeeverbrauch

So kommt es, dass derzeit neben dem Engagement bei der Lösungssuche (ob Arbeit, Unterkunft, oder anderes) vor allem der Kaffeeverbrauch und der Zugang zum Internet kontrolliert bzw. eingeschränkt sind. Bei einem Kaffeekonsum von einer 0,5 Kilogramm Packung alle zwei Tage gebieten dies die Sorge um Blutdruck und Brieftasche. Beim Internet hingegen führten schlechte Erfahrungen beim öffentlichen Zugang für alle zu jeder Zeit dazu, dass die Leitung die Nutzung auf Bürozeiten einschränkte. Wahrscheinlich wird sich selbst diese Regel nicht auf Dauer halten. Immer mehr Gäste verfügen über eigene Laptops und entsprechende Internetvorrichtungen.

Management by Trust

Diesem „Management by Trust“ liegt zum einem Pragmatismus zugrunde. Bei zwei Vollzeit- sowie einem hauptamtlichen Mitarbeiter und 35-40 von 45-50 Gästen im Haus in schwierigen Lebenslagen, lässt sich nicht alles 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche kontrollieren. Zum anderen ist das positive Menschenbild des Vereins ausschlaggebend: Allen auf Augenhöhe begegnen; Menschen unvoreingenommen und vorurteilsfrei eine Chance geben; Fehler zulassen als Fundament für Wachstum und Veränderung; Fähigkeiten und Fertigkeiten sehen, die bei jedem da sind, oft aber verschüttet sind.

Chaos und Anarchie?

Dass ein System mit geringen Kontrollen nicht zwangsläufig in Chaos und Anarchie endet, zeigt ebenfalls das Beispiel Haus der Solidarität. Es würde zwar keinen Sauberkeitspreis gewinnen. Das Haus ist aber auch keine Müllhalde. Seit den Anfängen im Jahr 2002 gab es keine Handgreiflichkeiten. Und wer glaubt, Vandalen würden das Haus permanent zerlegen, täuscht sich ebenfalls. In den vergangenen vier Jahren war keine größere Reparatur notwendig. Und in der Speisekammer findet sich immer was, so dass noch kein Besucher das Haus hungrig verlassen musste.

Vertrauen schafft Vertrauen

Im Gegenteil. Die Gäste erwidern das Vertrauen der Leitung mit Verantwortung und Eigeninitiative. Schwierigkeiten regeln die Gäste oft selbst. Den Reparaturbedarf melden sie, anstatt darüber hinwegzusehen. Und wenn Lebensmittel ausgehen, ergreifen sie selbst die Initiative.

HdS wie Verkehrsregeln

Diese Erfahrungen mit Vertrauen und Kontrolle spiegeln Beobachtungen mit Verkehrsregeln wider. In verschiedenen Orten Europas laufen derzeit Pilotprojekte ohne Verkehrsschilder, Ampeln, Zebrastreife und anderen Barrieren. Die Ergebnisse sind ähnlich positiv wie jene im HdS: Keine Verkehrsregeln führen zu 90 Prozent weniger Unfällen.

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