Die Gläubigerin

Sein Name war Franz. Nicht Francesco oder Paco. Franz – aber nicht aus Südtirol, sondern aus Bolivien. Er arbeitet einige Zeit als „badante“ in Südtirol. Dann holt er seine Frau Maite nach. Wie viele andere will sie einige Jahre im reichen Europa arbeiten, um dann ins arme Südamerika zurückzukehren und sich dort eine Existenz aufzubauen. Zurück lässt sie ihr Herz und 2 Kinder.

Maite kommt nach Mailand und von dort direkt ins Haus der Solidarität. Bis zu ihrer ersten Arbeit hilft die junge Frau überall mit, wo es braucht. Unter anderem kümmert sie sich um die Kinder eines anderen HdS-Gastes. Diese kann so ruhigen Gewissens arbeiten gehen. Oder sie pflegt einen älteren Mann im Haus, der unter schweren Depressionen leidet.

Als sie eine Arbeit als „badante“ findet, verlässt sie das Haus. Bis der Patient stirbt. Dann steht sie wieder auf der Straße. Das HdS nimmt sie erneut auf. So geschieht es mehrere Male.

Maite findet immer schnell Arbeit. Ihr guter Ruf eilt ihr voraus. Aber sie hat ein Problem: Sie verfügt über keine regulären Aufenthaltspapiere. Und dies just zu einer Zeit, als die italienische Regierung die Gesetze gegen sogenannte Illegale drastisch verschärft. Es trifft Hunderttausende. Hunderttausende verrichteten wie Maite in ganz Italien wichtige Dienste. Die ausländischen Mitbürger erledigen jene Arbeiten, die Einheimische nicht mehr tun. Und plötzlich werden sie behandelt wie Kriminelle.

Maites Angst steigt von Tag zu Tag. Sie verlässt kaum noch ihre Arbeitsstelle. Zurückzukehren in die Heimat bietet keinen Ausweg. Dort warten bloß Schulden, Arbeitslosigkeit und hungrige Bäuche. Es sei denn, Maite erhält einen Kredit, um den Neuanfang zu schaffen. Doch welche Bank tut dies?

Das HdS hatte schlechte Erfahrungen damit gemacht, Geld zu verleihen. Doch zugleich lebt es den Grundsatz, schlechte Erfahrungen mit einigen nicht auf alle zu übertragen. Maite erhält einen Kredit und kehrt nach Bolivien zurück. Nach einem Jahr haben Maite und Franz den Kredit zurückgezahlt.

Kurze Zeit später bricht auch Franz seine Zelte in Südtirol ab. Franz, der auch in Bolivien nicht Francesco oder Paco gerufen wird.