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In der Sackgasse

01_Boxschlag_LukasK_PeterSDas HdS als Gepäcksträger, der oft in einer Sackgasse landet.

Von Gepäcksträgern

In großen Bahnhöfen sieht man sie noch manchmal: Männer in Leuchtjacken, die an den Bahnsteigen auf den nächsten Fernzug warten. Gepäcksträger. Ist der Zug in den Bahnhof eingefahren, ziehen sie in wuchtigen Bewegungen Koffer, Rucksäcke, Taschen aus den Wagons, hieven sie auf zwei- oder vierrädrige Wagen und fahren sie entweder zu einem anderen Bahnsteig oder zum Ausgang. Für wenige Augenblicke ihrer Reise, tragen die Passagiere weniger schwer.

Und Rucksäcken

Manchmal sieht sich das HdS als Gepäcksträger. Es versucht zeitweise den Rucksack eines Menschen mitzutragen. Dieser wiegt oft schwer, gefüllt mit Verletzungen, Verbitterung, Verachtung. Die Hausleitung bietet den Schwertragenden nicht nur eine Unterkunft und die Hilfe beim Bemühen, sich zu stabilisieren. Viel wichtiger ist die Möglichkeit, die Last abzulegen, sich auszuruhen und zu stärken, eventuell auch das eine oder andere Bündel zur Seite zu legen, um dann mit einem kleineren Rucksack weiterzuziehen. Oft gelingt das auch: dem irakischen Flüchtling, der eine sichere Arbeit findet, der Haftentlassene, der eine Wohnung mietet, die alte Frau, die einen Platz im Altersheim bekommt.

Gekrümmte Wirbelsäule

Bei manchen aber ist die Wirbelsäule infolge der jahrelangen schweren Last derart gekrümmt, dass sie gar nicht mehr merken, wenn sie weniger tragen. Alle Hilfestellungen scheitern. Die Hausleitung startet zwar wieder und immer wieder einen neuen Versuch: ändert die Vereinbarungen, schränkt die Regeln auf die wichtigsten ein, setzt die Anforderungslatte tiefer und tiefer. Doch am Ende hilft nichts und gemeinsam finden sich Hausleitung und Gast in einer Sackgasse: die Hausleitung, die keine Kraft mehr hat, den Rucksack zu tragen, und der Hilfsbedürftige, der einmal mehr in seinem Leben umdrehen muss. Ohnmacht, Trauer und Resignation machen sich breit und legen eine Trennung nahe.

Fallbeispiele

So war es bei M., einem ehemaligen Häftling. Er war hin- und hergerissen zwischen der „Welt des Lichts und des Schattens“ (wie er selbst sagte). Mehrmals lebte er im HdS, doch in dieser Zeit schaffte er es nicht, sich fürs eine oder andere zu entscheiden. Oder Herr K. Ihm hatte das Haus mehrere Arbeitsstellen vermittelt. Nichtsdestotrotz fühlte er sich ständig unfair behandelt. Seine Sackgasse war ein Hausverbot. Doch nicht einmal daran hielt er sich. Erst ein Flugticket nach Hause beendete die Beziehung. Oder Herr F. mit hervorragenden Qualifikationen für den Südtiroler Arbeitsmarkt. Dennoch hielt er es nie länger als einige Wochen bei einem Arbeitsplatz aus. Schuld daran waren immer die anderen. Nie er selbst. Diese Attitüde hinderte ihn, sich seines Rucksacks zu erleichtern. Zu erwähnen ist auch Herr L., ein chronischer Säufer. 2-4 Mal im Jahr verfiel er seiner Sucht. Das HdS öffnete ihm wieder und wieder die Tür. Doch es war stets die falsche. Denn letztlich blieb er ein Opfer seiner Sucht. Schließlich Herr A. Trotz seines jungen Alters hatte er bereits viel mitgemacht, mehrere Gerichtsverfahren anhängig, verstoßen von seiner Mutter. In seiner kurzen Zeit im HdS schaffte er es nicht, auch nur die kleinsten Vereinbarungen einzuhalten. Er scheiterte an Regeln, die er nie einzuhalten gelernt hatte.

Im HdS gibt es viele große und kleine A.s, F.s, Ms.. Alle brauchen sie Energie. Viele können Hausleitung und Hausgemeinschaft mittragen. Einige nicht. Sie müssen das HdS verlassen. Ansonsten wächst die Gefahr, dass auf die Dauer auch andere gebückt bleiben.

Akzeptanz

Einige dieser Rucksackträger wiederum können bleiben. Bei ihnen erhebt die Hausleitung keinen Anspruch, für sie eine Hilfe zu sein. Sie schaden weder dem Haus noch der Gesellschaft. Ihre Bedürfnisse sind minimal. Sie haben sich dem Leistungszwang, Geschwindigkeitsrausch, Anforderungsdruck moderner Gesellschaften entzogen. Auf ihre Weise leben sie nachhaltig, nachhaltiger als viele, die Raubbau mit den eigenen und anderen Ressourcen betreiben. Indem das HdS ihr Sein akzeptiert, akzeptiert es die Tatsache, dass ein Leben außerhalb des Mainstreams durchaus möglich ist.

Positives am Scheitern

Das Positive am Scheitern in der Arbeit mit bestimmten Menschen in schwierigen Lebenslagen hat allerdings auch eine positive Seite. Es zeigt, dass das HdS noch lange nicht der Routine sozialarbeiterischer Tätigkeit verfallen ist. Positiv ist zudem, dass die Hausleitung auch bei den schwierigsten Menschen noch an das Gute und das Veränderbare in ihnen glaubt.

Insofern steht das HdS zum eigenen Scheitern und zum Scheitern einiger seiner Gäste- gemäß eines Ausspruchs des Management-Theoretikres Chester Barnard: „Einen Versuch wagen und dabei scheitern bringt zumindest einen Gewinn an Wissen und Erfahrung. Nichts riskieren dagegen heißt einen nicht abschätzbaren Verlust auf sich nehmen – den Verlust des Gewinns, den das Wagnis möglicherweise eingebracht hätte.“ 

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