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Mohammed, Miriam und die heiße Schokolade

Abdel-Watten_044Das HdS als Werkstatt gelungener Integration.

Nein. Nein. Nein – Nein bei Arbeitsplätzen, weil nicht einheimisch; Nein bei der Wohnungssuche, weil andersfarbig; Nein bei öffentlichen Stellen, weil zu kurz ansässig. Das Wörtchen „einheimisch“ macht in Südtirol die Musik. Diese 11 Buchstaben entscheiden darüber, wer die Früchte des Paradieses pflücken darf und wer nicht. Es reißt tiefe Gräben auf zwischen den 503.000 Einheimischen und 40.000 „Zweiheimischen“.

Einmal anders

Doch es geht auch anders. Etwa wenn der 19-jährige Mohammed aus Marokko und die gleichaltrige Miriam aus Südtirol einen Nachmittag gemeinsam bei einer Kinderveranstaltung zusammenarbeiten. Sie hat Angst vor Ausländern, er passt genau in ihr Schema von einem Nicht-EU-Bürger. Doch in der gemeinsamen ehrenamtlichen Arbeit kommen sie sich näher. Am Abend trinken sie gemeinsam heiße Schokolade. Sie hat keine Angst mehr vor Mohammed. Sie weiß seinen Namen, kennt ihn. Er fühlt sich akzeptiert und weiß, dass er in dieser Begegnung einen kleinen Beitrag zu mehr Verständnis für Menschen mit Migrationshintergrund geleistet hat.

Möglichkeiten der Begegnung

Darum geht es dem Haus der Solidarität (HdS) – Möglichkeiten der Begegnung und des Austausches zu schaffen. Tag für Tag versucht es so Brücken zu bauen und die Kluft zwischen Menschen von Hier und Dort zu überbrücken. Viele Südtiroler haben wie Miriam keinen Kontakt zu Menschen aus anderen Ländern, auch wenn diese immer häufiger ihre Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitschüler sind. Dieser Abstand ist Humus für Stereotype und Vorurteile.

Friedliches Zusammenleben

Im HdS leben bisweilen Menschen aus mehr als 20 verschiedenen Nationen zusammen. Friedlich. Einer davon ist Mohammed. Hier begegnen die Gäste dem Anderen auf Schritt und Tritt. Unausweichlich. Vertrauen wächst, Vorurteile fallen. Auf beiden Seiten. Einheimische merken, dass „DIE Ausländer“ gar nicht so sind, wie sie dachten. In ausländische Mitbürger hingegen wächst das Verständnis für die Regeln, Pflichten, Normen und Gepflogenheiten des neuen Heimatlandes. So hilft das HdS immer wieder, kulturelle Eigenheiten Südtirols zu erklären. Und es hilft auch, Situationen zu vermeiden, die in der neuen Heimat als „ausnützerisch“ angesehen werden. Es weist ausländische Mitbürger beispielsweise immer wieder darauf hin, dass Schwarzarbeit einerseits und der Empfang von Sozialhilfe andererseits der Gesellschaft doppelt schaden.

Gezielte Begegnungen

Ganz bewusst schafft das HdS neben dem Wohnen unter einem gemeinsamen Dach Momente der Begegnung: durch gezielte Ausflüge in die Berge an Wochenenden – diese stärken das Gemeinschaftsgefühl und eröffnen neue Horizonte; durch kulinarische Veranstaltungen – diese werden als starkes Element der Anerkennung und des Respekts erlebt; durch Gebetsmöglichkeiten – diese sind Zeichen der Toleranz vor tiefen Werten anderer Menschen; durch Sprachkurse, gemeinsame Putzkurse, Spiele …

Balance

Ein Schlüsselwort der Integrationsarbeit des HdS ist „Balance“. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Einheimischen und anderen, zwischen Personen aus verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichen Religionen, Geschlecht, Alter, Berufen, … . Wenn die Verhältnisse ausgeglichen sind, entsteht ein harmonisches Zusammensein. Andernfalls gibt es Streitereien, Spannungen, Schwierigkeiten. Weil die Balance so wichtig ist, kommt es immer wieder vor, dass die Hausleitung Menschen, die eine Unterkunft suchen, ablehnt. Auch wenn noch Zimmer frei wären.

Keine Schönfärberei

Doch liegt es dem HdS fern, das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen schön zu reden. Im Gegenteil. Die Grenzen erfährt das Haus täglich: wenn es um das Hygieneverständnis, den Umgang mit Geld, Clandenken, usw. geht. Zudem kommen Menschen aus bestimmten Ländern mit der Südtiroler Kultur besser zurecht als andere. Auch sind immer wieder Tendenzen von „Konkurrenz unter Armen“ erkennbar. Dies liegt wohl daran, dass verschiedene Randgruppen der Südtiroler Gesellschaft unter einem Dach leben. Insgesamt aber schafft es das HdS mit der Hilfe „stabiler“ Wohngemeinschaftsmitglieder immer wieder, diese negativen Seiten abzufedern…

Beziehungen

… und auch jenseits der grauen Mauern des HdS Integration in Schwung zu bringen. Das engmaschige Beziehungsgeflecht des Hauses bewirkt, dass die Beispiele Schule machen. Wie ein Schneeball. So geschehen im Fall des sudanesischen Flüchtlings Ali. Eine Mitarbeiterin im Haus nahm ihn mit zu einem Handballspiel. Als geselliger Mensch lernte er gleich die halbe Mannschaft kennen. Der Stein fiel  ins Wasser und zog Kreise. Einige Begegnungen später nimmt die Handballmannschaft Ali mit in die Disko. Dort will man ihn zunächst nicht einlassen. Der Trainer aber umarmt den Afrikaner väterlich und sagt zum Türsteher: „Der gehört zu uns und geht jetzt rein. Klarerweise gratis!“

Hemmschwelle herabsetzen

Unbewusst und selbstverständlich geschieht hier Integration. Dem HdS gelingt vielfach, die Hemmschwelle zwischen In- und Ausländern herabzusetzen. Es ermöglicht den Zwischenschritt auf dem Weg hin zum Miteinander. Damit erreicht es auch jene, die sonst nichts mit dem Thema Migration bzw. Integration zu tun haben. Vor einem steht nicht mehr die dumpfe, angstmachende Masse der Ausländer, sondern ein Individuum namens Ali oder Mohammed …

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… oder zwei Krüge. Glaskrüge, die auf einem Tisch stehen: Beide etwa zu Dreiviertel gefüllt. Einer birgt klares Wasser, der zweite Apfelsaft. So schein es. Je nach Nähe und Distanz ändert sich der Inhalt. Noch etwas kommt dazu: der Blickwinkel, die Perspektive des Betrachters. Steht der transparente Wasserkrug genau vor dem goldgelben, entsteht im Schnittpunkt eine neue Farbe. So ist es wohl auch mit der Integration. Wenn sich jeder so geben kann, wie er ist, und sich näher kommt, entsteht was Neues. Dieses Neue muss uns nicht Angst machen. Deshalb das Motto des HdS: keine Angst vor Integration.

Anstelle des Nein, Nein, Nein, tritt ein Ja, Ja, Ja.

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